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Eine Stadt steht unter Schock

Von Tim In der Smitten

Mönchengladbach.
Tiefe Trauer, Anteilnahme und Mitgefühl. Das ist die vorherrschende Stimmung rund um die evangelische Hauptkirche Rheydt. Gladbach ist mit 13 Todesopfern die von dem Unglück am stärksten betroffene Stadt.

Dutzende von Kamerateams und Fotographen aus dem In- und Ausland brachten sich vor dem Kircheneingang in Stellung. Seit Tagen wurden die Angehörigen belagert. Um an Bilder der Hinterbliebenen zu kommen, wurden sogar Scheiben an Privathäusern eingeschmissen, verlautete es aus Kreisen der Gladbacher Polizei.

Vor diesem Hintergrund forderte Oberbürgermeisterin Monika Bartsch die Median auf, „die Trauernden in ihrem Schmerz in Ruhe zu lassen“. Während des Gedenkgottesdienstes ruht auch die Arbeit im Reisebüro Clemens, gegenüber der Hauptkirche. Jenem Reisebüro, in dem die Verstorbenen ihren vermeintlichen Traumtrip buchten. „Während des Trauergottesdienstes ist nicht die Zeit, um schöne Reisen anzubieten“, so eine Mitarbeiterin des Unternehmens.

Die Eheleute Wehrmann sind die Letzten, die um kurz vor 11 Uhr noch aus dem Reisebüro kommen. Mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch haben sie gebucht. „Wenn ich daran denke, dass die Verstorbenen auf genau den gleichen Stühlen gesessen haben, um ihre Reise zu buchen, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter“, gesteht Sieglinde Wehrmann.

Dass das Reisebüro während der Trauerfeier den Geschäftsbetrieb ruhen lässt, findet sie richtig.

In der Kirche beginnt in diesen Minuten der Gottesdienst. Die Oberbürgermeisterin: „Eine Stadt steht unter Schock. Ich verneige mich vor den Opfern der Katastrophe. Ich teile das Leid der Hinterbliebenen.“ Auch der Vertreter des Landes, NRW-Minister Ernst Schwanhold, ist sichtlich ergriffen.

Vor der Kirche empört sich eine ältere Dame. „Ich finde ich es abscheulich, dass man bis hier an die Kirche die Marktschreier vergnügt ihre Ware anpreisen hört. Unmöglich. Aber wer kümmert sich heute noch um das Leid der Anderen.“

Dem widerspricht Marktfrau Helene ganz entschieden. „Dies ist ein Markttag, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Es ist gespennstig, wenn ich vorne Obst verkaufe und hinter mir die Trauernden mit weinenden Gesichtern vorbei ziehen. Aber was soll ich machen? Das Leben geht nun mal weiter.“

In der Kirche, in der Ton- und Filmaufnahmen verboten sind, sprechen Pfarrer Meihsner und Kaplan Jung, beide aktive Notfallseelsorger, den Trauernden abwechselnd Trost zu. „Menschen , die immer da waren, sind nicht mehr. Erst jetzt merken wir, was uns fehlt.“

Etwas abseits steht Bettina Redeke. „Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen von meinem früheren Chef Kurt Kahle“. Bei ihm hatte sie eine Ausbildung absolviert. „Es bedeutet mir viel, hier draußen zu stehen. Der Platz in der Kirche ist nur für die engsten Freunde und Angehörigen. Dieses schamlose Gegaffe der Leute da drüben macht mich rasend vor Wut“, meint sie und deutet auf eine Menge von fast 200 Schaulustigen, die sich schubsend vor dem Absperrgitter der Polizei drängen.

Über die Frage, warum sie mit ihren zwei kleinen Kindern hier am Gitter stehe, braucht eine junge Mutter nicht lange nach zu denken: „Ich wollte mir den Palaver angucken, den die Politiker machen, wenn reiche Leute sterben. Es ist doch immer das selbe, heute stehen sie alle jammernd hier und morgen sieht man sie lachend auf einem Volksfest.“ Verachtend ihr Blick auf die Frage, ob sie sich nicht schäme, hier Pommes essend in der ersten Reihe, den trauernden Angehörigen ins Gesicht zu gucken. „Näh, als meine Brüder vor einigen Jahren unverschuldet auf der Autobahn starben, hat das keinen der Politiker gekümmert. Und da soll ich mich schämen?“

Am Ende des einstündigen ökumenischen Gottesdienstes sprechen die Geistlichen den Trauernden aus der Seele: „Oh Gott, wir können einfach nicht begreifen, was da passiert ist.“ Wann die Toten überführt werden, ist noch nicht bekannt. Bei dem Absturz am vergangenen Dienstag starben 114 Menschen, 97 waren Deutsche, 42 kamen aus NRW.

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